Der Nutri-Score wird treffend auch Lebensmittelampel genannt. Seit etwas über einem Jahr leuchtet er uns von vielen Produkten im Supermarkt entgegen. Aber nicht auf jedem Produkt ist der Nutri-Score zu finden. Denn es ist ein freiwilliges Bewertungssystem. Entscheidet sich jedoch ein Hersteller für den Nutri-Score, muss er all seine Produkte damit versehen. Ursprünglich kommt die Idee aus Frankreich und wurde dann im November 2020 auch in Deutschland eingeführt. Der Nutri-Score soll uns Verbraucher*innen helfen, den Nährwert von Lebensmitteln einzuschätzen und bewusste Kaufentscheidungen zu treffen. Die Produkte werden in fünf Stufen eingeteilt. Die Einteilung wiederum erfolgt über einen Algorithmus, ist recht komplex und für den Laien zunächst undurchsichtig. Ich möchte im Folgenden jedoch etwas Licht ins Dunkel bringen.

 

Die Bewertung

Die Lebensmittel werden nach ihrer Zusammensetzung beurteilt und bepunktet [1] https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/kennzeichnung/naehrwert/nutri-score . Positive, also gesundheitlich förderliche Inhaltsstoffe, bekommen Minuspunkte und negative, also tendenziell ungesunde Inhaltsstoffe bekommen Pluspunkte. Verwirrend, ich weiß, aber lassen wir uns einmal darauf ein. Als gesund bewertet werden Ballaststoffe, Obst, Gemüse, Nüsse und in besonderen Fällen Proteine. Als ungesund bewertet werden eine hohe Energiedichte (viele Kalorien), gesättigte Fettsäuren, Zucker und Natrium, also Salz. Der Salzgehalt kann mit 2,5 multipliziert werden, um den Natriumgehalt zu erhalten[2] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/Lebensmittel-Kennzeichnung/faq-nutri-score-markeninhaberin-dt-uebersetzung.pdf?__blob=publicationFile&v=5 . Beide werden miteinander verrechnet. Der End-Score liegt dann zwischen minus 15 und plus 40. Dieser wiederum wird dann einem Buchstaben zugeordnet, der die Qualität des Lebensmittels einordnen soll.

Tabelle 1: End-Score und die zugeordneten Buchstaben. In der Kategorie Getränke darf nur Wasser mit dem Score A gekennzeichnet werden. Für alle anderen Getränke ist aufgrund ihrer Zusammensetzung höchstens ein B zu erreichen [3] https://www.bzfe.de/service/news/aktuelle-meldungen/news-archiv/meldungen-2021/januar/getraenke-einkaufen-mit-dem-nutri-score/ .

Feste Lebensmittel

(End-Score)

Getränke

(End-Score)

Buchstabe
-15 bis -1 Wasser A
0 bis 2 -15 bis 1 B
3 bis 10 2 bis 5 C
11 bis 18 6 bis 9 D
19 bis 40 10 bis 40 E

 

Punktevergabe

Transparenz wird also groß geschrieben bei dem Nutri-Score? Nicht ganz. Zum einen ist die Beurteilung der Tabelle für einen Laien sicherlich nicht gerade ein Kinderspiel, da viele Sonderregelungen zu beachten sind. Zum anderen ist der Nutri-Score insofern undurchsichtig, als dass eine Einstufung von A-E nichts darüber verrät, ob sich die Bewertung bspw. durch eine hohe Kaloriendichte oder einen hohen Salzgehalt ergibt. So kann eine Verbraucherin, die womöglich aufgrund von Bluthochdruck Lebensmittel mit wenig gesättigten Fettsäuren und wenig Salz auswählen möchte, nicht durch den Blick auf den Nutri-Score wissen, ob sie sich für oder gegen das Produkt entscheiden sollte. Dieser Umstand ist der Vereinfachung des Systems geschuldet und die Verbraucherin kann sich noch immer durch die Zutatenliste informieren. Dennoch gaukelt der Nutri-Score eine scheinbar positive Wirkung des Lebensmittels vor, auch wenn der gesundheitliche Nutzen einzelner Lebensmittel von Person zu Person unterschiedlich ist. Besser wäre vielleicht ein zusätzlicher Hinweis, für welche Verbrauchergruppe das Produkt geeignet ist. Ich stelle mir Icons vor, die anzeigen, welche Verbrauchergruppe viel, mittel oder wenig von dem Produkt verzehren sollte. Auf dem zuckersüßen Schokokuchen wäre dann zum Beispiel eine rote Insulinspritze, um dem Diabetiker zu zeigen: “Iss lieber nicht so viel Kuchen!”

 

Ausnahmen bestätigen die Regel

Der Nutri-Score behandelt zudem nicht jedes Lebensmittel gleich. Auf einigen Lebensmitteln ist er nicht verpflichtend, selbst wenn sich ein Hersteller entschließt, den Nutri-Score auf seinen Produkten abzubilden. Dazu zählen Kaffee, Tee, alkoholische Getränke mit über 1,2 vol% Alkohol, frisches Obst und Gemüse, Kräuter und einige andere Lebensmittel. 

Vitamine und die wertvollen Omega-3-Fettsäuren, welche unser Körper so dringend braucht, um wie eine gut geölte Maschine zu funktionieren, werden vom Nutri-Score leider überhaupt nicht berücksichtigt. So führen kalorienreiche Fette zu einer schlechteren Bewertung des Lebensmittels, obwohl sie wichtige Omega-3-Fettsäuren enthalten können. Wenn im Einkaufswagen aber nur Produkte mit einem A landen, könnte dies zu einer unausgewogenen Ernährung und eventuell sogar zu Mangelerscheinungen führen, da es so zum Beispiel sein kann, dass man zu wenig Omega-3-Fettsäuren zu sich nimmt. 

Bei der Beurteilung von Getränken gelten andere Regeln für die Bewertung für Zucker- und Energiegehalt. Bei demselben Zuckergehalt in einem Getränk und einem festen Nahrungsmittel, bekommt das Getränk eine schlechtere Bewertung als das feste Lebensmittel. Außerdem wird der Bonus für Obst und Gemüse bei Getränken verdoppelt. Diese Unterscheidung erscheint mir persönlich sinnvoll, da zuckerhaltige Getränke entscheidend zu Übergewicht und Diabetes beitragen. Das liegt u.a. daran, dass 100 mL Flüssigkeit viel schneller getrunken sind und auch weniger sättigen, als 100 g feste Nahrung, und gleichzeitig kaum Ballaststoffe enthalten.

 

Die Tricks des Nutri-Scores für Käse

Käse bekommt ebenfalls eine Sonderbehandlung. Da die meisten Käsesorten aufgrund ihres hohen Fettgehaltes durchweg schlechte Bewertungen erhalten würden, wird der Proteingehalt bei Käse mit einbezogen. Proteinreicher Käse bekommt somit eine bessere Bewertung im Score. Auf der einen Seite ist es sicherlich sinnvoll, da man so eine gewisse Abstufung für verschiedene Käsesorten bekommt. Auf der anderen Seite vermittelt diese Sonderbewertung in Kombination mit mangelnder Aufklärung einen falschen Eindruck von dem Produkt Käse. Der Proteingehalt an sich ist nur für einzelne Personengruppen, wie ältere Menschen, Kinder und vielleicht noch Veganer (welche zumeist keine großen Käseesser sind) bedeutsam. Der Großteil der deutschen Bevölkerung hingegen ist mehr als ausreichend mit Proteinen versorgt. Deshalb ist es fraglich, Proteine besonders positiv zu bewerten.

 

Gute Bewertungen für Kakaopulver und Schoko Cornflakes

Aber es gibt noch weitere Tricks des Nutri-Scores, bei denen ich das Gefühl bekomme, dass die Produkte schön gerechnet werden. Einer davon ist, dass für die Berechnung nicht nur das Produkt, wie es im Laden steht, herangezogen wird, sondern das servierfertige Gericht, sofern die Zubereitungsmethode sowie der Nährwertgehalt für das zubereitete Lebensmittel auf der Verpackung stehen [4] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/Lebensmittel-Kennzeichnung/faq-nutri-score-markeninhaberin-dt-uebersetzung.pdf?__blob=publicationFile&v=5 . Lasst es mich an einem Beispiel erläutern. Wenn ich im Laden eine Tütensuppe kaufe, wird nicht der Natriumgehalt des Suppenpulvers pro 100 g Pulver berechnet, sondern der Natriumgehalt der fertigen Suppe herangezogen. So verteilt sich das in 100 g Suppenpulver enthaltene Natrium auf 500 mL Wasser und auf einmal enthält das Produkt nur 1/6 des Natriums. Bis hierhin vielleicht noch nachvollziehbar, da ich für meinen Teil selten Suppenpulver direkt aus der Verpackung löffele.

Kritischer wird es dann bei Kakaopulver, bei dem sich womöglich nicht immer an die Zubereitungsempfehlung auf der Verpackung gehalten wird. Am besten dann mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass das Kakaopulver ja einen Nutri-Score von B bekommen hat und so ungesund nicht sein kann.

Besonders heikel wird es allerdings, wenn wir uns die Cornflakes Packungen anschauen. Auch dafür wird das fertige Gericht zur Berechnung herangezogen. Und natürlich rechnen die Hersteller nicht mit der Vollfettmilch, sondern mit der für die Berechnung deutlich günstigeren fettarmen Milch. So bekommen dann am Ende die Schoko Cornflakes, die nun wirklich keine gesunde Mahlzeit sind, einen Score von A oder B und landen im Einkaufskorb. Daheim werden sie dann aber nicht in kleinen Mengen mit fettarmer Milch und in Maßen gegessen, sondern vielleicht mal zwischendurch direkt aus der Packung geknuspert. Diese Bewertungsmethode kommt dann auch wirklich nur einem zugute: dem Hersteller der Cornflakes.

 

Der Nutri-Score hilft

Trotz der Kritik, die dem Nutri-Score entgegengebracht wird, konnten Studien tatsächlich einen Erfolg durch den Nutri-Score verzeichnen. In Frankreich, wo er bereits seit einigen Jahren eingesetzt wird, hat sich der Nährwert der gekauften Lebensmittel im schnitt um 4,5 % verbessert. Insbesondere benachteiligte Verbrauchergruppen profitieren vom Nutri-Score. Weiterhin zeigte der Nutri-Score im Vergleich zu anderen getesteten Bewertungssystemen die größte Verbesserung des Kaufverhaltens[5] https://ec.europa.eu/food/system/files/2018-04/comm_ahac_20180423_pres4.pdf .

 

Ist der Nutri-Score sinnvoll oder irreführend?

Nun, ich halte den Nutri-Score grundsätzlich für keine schlechte Idee. Es hapert jedoch an der Umsetzung und, wie in so vielen Bereichen, an der Transparenz. Ein Aufsteller im Eingangsbereich, der die Verbraucher*innen über die Benutzung des Nutri-Score informiert, würde dem bereits Abhilfe schaffen. 

Außerdem sind manche Berechnungen, wie das Miteinbeziehen der fettarmen Milch bei den Cornflakes in meinen Augen nicht immer im Sinne des Verbrauchers. Für Käse und Getränke werden andere Bewertungsmuster verwendet, was nicht grundsätzlich schlecht ist, aber bei mangelnder Aufklärung doch kritisch zu betrachten ist. Weiterhin wird kritisiert, dass Vitamine und die gesunden Omega-3-Fettsäuren bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden. 

So wie es derzeit um den Nutri-Score steht, empfinde ich ihn als Vorgaukeln falscher Sicherheit, die Verbraucher*innen trügen kann. Selbst die umfangreiche Recherche für diesen Beitrag hat mir nicht wirklich durchsichtige Ergebnisse geliefert. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass der Nutri-Score bis zu einem gewissen Grad funktioniert. Insbesondere der Nutzen für Personengruppen, die sich sonst womöglich nicht mit dem Thema Ernährung auseinandersetzen, ist erfreulich. Deswegen bin ich trotz aller Kritik auch froh, dass es den Nutri-Score gibt. Im Allgemeinen würde ich behaupten, dass das große Problem des Nutri-Score seine mangelnde Transparenz ist. Das ist schade, denn gerade die Transparenz war doch die ursprüngliche Idee, welche überhaupt zum Nutri-Score geführt hat.