Wenn ihr euch mit den Praktiken der Massentierhaltung beschäftigt, wisst ihr sicherlich, dass männliche Küken, die von Legehennen ausgebrütet werden, oft geschreddert und dann weggeworfen werden. Das liegt daran, dass männliche Küken natürlich nicht zu Legehennen heranwachsen können, als Masthuhn eignen sie sich aufgrund der Legehennen-Gene aber auch nicht [1] https://www.landsiedel-seminare.de/weltretter/ressourcen/lexikon/kuekenschreddern.php .

Die Tierhaltung ist heutzutage nämlich so optimiert, dass Hühner, die nicht explizit als Masthühner gezüchtet werden, sich als solches einfach nicht lohnen, da sie nicht schnell genug wachsen. Masthühner setzen nämlich unglaublich schnell Fleisch an, und zwar so schnell, dass sie sich oft gar nicht mehr richtig auf den eigenen Beinen halten können, bzw. Fehlstellungen entwickeln [2] https://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung/masthuehner (unter “Veränderter Körperbau”) . Das liegt natürlich zum Teil am Futter, aber eben auch an der Züchtung.

Definitiv alles sehr natürlich.

Jetzt wisst ihr vielleicht auch, dass das Kükenschreddern ab Anfang 2022 verboten werden soll [3] https://www.sueddeutsche.de/politik/kuekenschreddern-verbot-bundestag-1.5299741 . Wozu also dieser Beitrag? Ist das Thema damit nicht abgehakt?

Hoffen wir es mal. Dennoch finde ich aber, an diesem Beispiel kann man gut ein paar grundsätzliche Überlegungen anstellen.

Wer von dem Kükenschreddern erfährt, ist, falls ihm oder ihr Tiere nicht allgemein egal sind, oft geschockt und angeekelt. Das kann doch nicht sein, dass man gesunde Tiere einfach so tötet und wegwirft? Und das nur, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt?

Ich sehe das ganz genauso und ich finde, diese Praxis zeigt sehr deutlich, wie das System funktioniert. Nämlich fernab von einem Interesse für das Wohl der Tiere und sehr nah am Profit.

Ich möchte damit jetzt auch nicht einzelne Landwirt*innen an den Pranger stellen, die das so machen. Vielleicht haben diese ja wirklich keine Wahl und können es sich nicht leisten, männliche Küken aufzuziehen, die nicht den maximalen Gewinn einbringen.

Man kann sich viel eher mal vor Augen führen, was das für ein System ist, in dem man zu solchen Maßnahmen greifen muss. In dem es sogar gängige Praxis ist, zu solchen Maßnahmen zu greifen.

Um zurück zum Punkt zu kommen: Der Aufschrei wegen des Kükenschredderns ist groß. Was wohl auch ein Grund für das kommende Verbot sein dürfte.

Mein Freund zum Beispiel, Mischköstler, achtet schon lange darauf, wenn, dann nur Eier zu kaufen, bei denen garantiert wird, dass die männlichen Küken aufgezogen werden.

Das finde ich gut, ich habe mich nur gefragt: Wenn das Grund genug ist, diese Eier nicht zu kaufen.. warum dann nicht vegan sein?

Diese Frage kann man etwas umformulieren: Ist es schlimmer, Tiere unter Qualen aufzuziehen und dann zu essen? Oder sie direkt nach der Geburt zu töten und dann wegzuschmeißen?

Als überzeugte*r Veganer*in kann einem diese Frage vielleicht bescheuert erscheinen, ich zumindest denke mir sofort: Beides ist schrecklich und nichts davon will ich unterstützen!

Aber es gibt eben auch Menschen, die das Kükenschreddern als deutlich schlimmer ansehen. Schlimm genug sogar, um es zu boykottieren, die aber trotzdem Fleisch essen. Warum?

Grundsätzlich gibt es erstmal zwei Herangehensweisen, um eine Handlung als moralisch gut oder schlecht zu bewerten. Man kann einerseits auf die Intention achten: Was sollte mit der Handlung erreicht werden und aus welchen Motiven wurde sie ausgeführt? Andererseits kann man auf die Konsequenzen achten: Was ist wirklich geschehen, welche Auswirkungen hatte die Handlung?

Diese beiden Ansätze können ein und dieselbe Handlung ganz unterschiedlich bewerten, man denke an das Sprichwort: “Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.”

 

Kleiner ethischer Exkurs

Ein Beispiel für eine ethische Lehre, bei der es auf die Konsequenzen ankommt, wäre der Utilitarismus. Eine Handlung ist genau dann moralisch gut, wenn sie das Gesamt-Glück aller maximiert und das Gesamt-Leid aller minimiert. Eine Handlung mit den besten Motiven kann hier als moralisch schlecht bewertet werden, wenn sie das Gesamt-Glück ein wenig verringert.

Kant mit dem kategorischen Imperativ (“Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.”) schaut dabei nur auf die Intention, darauf, was man “wollen kann”. Hier findet die moralische Bewertung vor der Handlung statt und es ist egal, welche eventuell unerwünschten Auswirkungen sie hat. Man kann es vielleicht auch als Entscheidungshilfe ansehen.

Nun werden diese beiden Ansätze (Intention oder Konsequenzen) im Alltag normalerweise nicht ganz so strikt voneinander getrennt wie bei den beiden ethischen Lehren. Aber trotzdem kann man erkennen, ob jemand eher zur einen oder anderen Seite tendiert. Bei manchen Handlungen muss man sich sogar im Endeffekt für eine Seite entscheiden. Wenn ich etwas gesagt habe, was jemanden verletzt, das aber überhaupt nicht so gemeint habe: Habe ich dann ein schlechtes Gewissen, weil ich die Person verletzt habe? Oder nicht, weil ich es ja nicht so gemeint habe?

Ein schlechtes Gewissen und moralische Überzeugungen kann man natürlich nicht gleichsetzen, aber ich glaube ihr wisst, worauf ich hinaus will.

 
Also, was ist nun schlimmer: Kükenschreddern oder Aufzucht und Verarbeitung zu Fleisch?

Ich würde sagen, das kommt darauf an, welchen ethischen Ansatz man hier verfolgt. Von den Motiven her betrachtet, könnte man sagen, dass das Kükenschreddern schlimmer ist. Es ist schon moralisch sehr verwerflich, massenhaft Tiere einfach wegzuwerfen, nur weil sie einem keinen Gewinn bringen. (Hier noch einmal der Hinweis, dass ich niemanden direkt verurteilen möchte, dessen Situation ich nicht kenne. Ich gehe hier davon aus, dass man eine echte Wahl hat.) Tiere aufzuziehen und als Fleisch zu verkaufen, erfüllt immerhin noch einen Zweck, nämlich Menschen mit Essen zu versorgen. Die Notwendigkeit davon würde ich vielleicht anzweifeln, aber es ist wenigstens kein sinnloses Töten.

Wie sieht allerdings die Sache aus, wenn man sie utilitaristisch betrachtet? Hier begibt man sich auf etwas dünneres Eis. Ich würde schon sagen, dass es einem Masthahn – zu dem ein solches Küken werden würde, wenn es nicht direkt getötet würde – in seinem Leben sehr schlecht geht. Im Durchschnitt erfährt er wahrscheinlich deutlich mehr Leid als Glück.

Also könnte man sagen: Besser direkt töten und das Leid ersparen? Schwierig.

Ist ein Leben weniger lebenswert, nur weil es von Leid geprägt ist? Nein, natürlich nicht.

Und hier haben wir das Problem, ich kann wirklich nicht sagen, was die schlimmeren Auswirkungen hat, Töten oder Aufzucht.

Vielleicht kann man festhalten, dass beides einfach schrecklich ist.

 

Eigene Meinung:

Ich habe jetzt versucht, ein bisschen theoretisch zu argumentieren, wie man an die Sache herangehen kann. Ich denke das kann eine gute Hilfe sein, die eigenen Gedanken zu sortieren. Zum Abschluss noch meine eigene Meinung, über die wir in den Kommentaren gerne diskutieren können.

Ich würde einen Menschen, der freiwillig (!) Tiere aus einer Kosten-Nutzen-Abwägung wegwirft, definitiv härter verurteilen, als einen, der mit seiner Tierhaltung zur Lebensmittelversorgung beiträgt. Von diesem Standpunkt aus ist es auch nachvollziehbar, das Kükenschreddern eher als das Fleisch essen zu verurteilen.

Als Veganerin kommt es mir aber auf das Wohl der Tiere an, deswegen würde ich in diesem Fall eher auf die Konsequenzen als auf die Intentionen achten. Und diese Herangehensweise ist, wie oben dargelegt, nicht ganz einfach. Ich möchte ungern eins als besser oder schlechter ansehen. Ich denke das Kükenschreddern ist Teil eines sehr verwerflichen Systems, in dem ein Tierleben viel zu wenig oder sogar gar nichts wert ist. Und dieses System muss sich ändern. Und das Abschaffen des Kükenschredderns ist vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei weitem noch nicht genug.

von Freddy